Udo Zieris, Büro für BBB

Brandschutz - Beratung - Bildung

schwerentflammbar ≠ schwerentflammbar


Einfach und unbekümmert wurden und werden Anforderungen an Bauprodukte mit B1, schwerentflammbare Baustoffe beschrieben. Diese Wertung wurde selten tiefgründig hinterfragt. 2020 entflammten neue Diskussionen zum Thema:

"Wir brauchen Bauprodukte, die mindestens s2 sind!"

"Im Bundesland X gilt die VV TB 2019 und jetzt müssen wir …!"

Die Entwicklung kam in etwa ebenso plötzlich und unerwartet, wie jedes Jahr Weihnachten. Die Problematik besteht vielmehr darin, dass Investoren, Planer, Händler, Verarbeiter und Hersteller im Alltag ganz andere Sachverhalte im Blick haben müssen als sich mit dem Abgleich von B1 zu B-s3, d0 auseinander zusetzten. Es ist eher ein über Jahre andauerndes kommunikatives Problem.


Was steckt tatsächlich dahinter?

Innerhalb der EU trat am 01.07.2013 die Bauproduktenverordnung in Kraft. Auch in der Bundesrepublik Deutschland! Abgekürzt wird dieses Dokument mit dem Code Verordnung (EU) 305/2011 vom 09. März 2011. Damit wurde u.a. die Vereinbarung über die Anwendung europäisch harmonisierter Normen für die Herstellung bestimmter Bauprodukte getroffen. Diese Regelungen beziehen sich z. B. auf Bauprodukte, die in der technischen Isolierung für Lüftungs- und Leitungsanlagen genutzt werden. Wenn die Herstellung bestimmter Bauprodukte nach europäisch harmonisierten Normen erfolgt, kann die Bewertung ihrer Leistungen ebenfalls nur nach europäischen Kriterien vorgenommen werden. Somit wurde die Brennbarkeit nicht mehr nach der DIN 4102 und mit B1 usw. dargestellt, sondern nach der DIN EN 13501.

Die DIN EN 13501 macht mehr Leistungskriterien sichtbar als sie zuvor nach der DIN 4102 kommuniziert wurden. Die Brennbarkeit, Rauchentwicklung und das Abtropfverhalten sind als Kriterien gestaffelt ablesbar. Zur Erleichterung des Verständnisses gab es vergleichende Gegenüberstellungen. Der DIN 4102 geprägte Mensch konnte sich somit den Sinn von B-s3, d0 vorstellen. Dieser Ablauf hat noch im Wirkungskreis der VV TB 2017 funktioniert.

Mit Beginn der Einführung der VV TB 2019 wurde die Lesart, die Interpretation der Leistungen geändert. Es geht nunmehr um Einzelleistungen und nicht mehr um die Einordnung der Gruppen. Es geht um die definierte zulässige Menge an Rauchgas und nicht mehr nur um ein begrenztes Volumen. Das bedeutet, B-s3, d0 galt im Gültigkeitsbereich der VV TB 2017 als schwerentflammbar. Mit Einführung der VV TB 2019 wurden die Kriterien der Schwerentflammbarkeit mit mindestens C-s2, d2 neu bestimmt. Im Einzelnen können jetzt Bauprodukte, die auch nur in einem Punkt (s3 statt s2) die Vorgaben nicht erreichen, nicht als schwerentflammbar angesehen werden.

Es besteht seit Jahren das Bedürfnis, bei einem Brandereignis weniger giftige Rauchgase freizusetzen. Bevor ein solcher Anspruch durchsetzbar ist, bedarf es der rechtlichen Legitimierung auf Landesebene. Die Einführung der VV TB 2019 hat das Wertungskriterium Rauchgas für den Markt BRD aufbereitet.


In welchen Bereichen müssen schwerentflammbare Bauprodukte eingesetzt werden?

Wir unterscheiden zwischen öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Gründen. Im Allgemeinen gilt, öffentlich-rechtlich sind Anforderungen, die in einem bauaufsichtlich eingeführten Dokument stehen. Zivilrechtlich sind individuelle Wünsche z. B. des Investors, die vertraglich vereinbart wurden. Die MLAR beschreibt an keiner Stelle, dass ein Dämmstoff für Rohrleitungen schwerentflammbar sein muss.

Folglich ergeben sich daraus keine öffentlich-rechtlichen Forderungen. Es kann aber sein, dass im Ausschreibungstext zivilrechtlich ein schwerentflammbares Bauprodukt gefordert wurde. Für Lüftungsanlagen, die nach der MLüAR errichtet werden, ist klar beschrieben, wo und unter welchen Bedingungen brennbare Bauprodukte eingesetzt werden dürfen und dass diese schwerentflammbar sein müssen.

Stolperstein Frankfurter Modell

Als Frankfurter Modell werden profilfolgende Bekleidungen von brennbaren Rohrleitungen und von nichtbrennbaren Rohrleitungen mit brennbaren Isolierungen in notwendigen Fluren und notwendigen Treppenräumen sowie in Sicherheitsschleusen bezeichnet. Die Installation brennbarer Bauprodukte ist in diesen Bereichen nur zulässig, wenn sie der unmittelbaren Nutzung dieses Bereiches dienen. Unbeeindruckt dessen werden brennbare Bauprodukte in diesen schutzbedürftigen Räumen verbaut.

Um im Nachgang den baurechtlichen Vorgaben zu entsprechen, werden diese Installationen nichtbrennbar bekleidet und somit räumlich getrennt. Dafür gibt es hinreichend Dokumente zum Studium. In den jüngsten Ausgaben werden in diesen Gutachten unterschiedliche Anforderungen an den synthetischen Dämmstoff erhoben. Die Darstellungen schwanken für vergleichbare Sachverhalte von schwer- bis normalentflammbar! Folglich kann an dieser Stelle nicht jeder Schlauch in jeder Kombination zur Anwendung kommen! 


Ein Gutachten ist vielfach notwendig, stellt aber dennoch eine Abweichung von rechtlichen Forderungen dar. Eine Abweichung, um eine weitere Abweichung zu ergänzen ist argumentativ nicht zielführend und entspricht nicht mehr den Vorgaben des Gutachtens.


Wie verhalten wir uns, wenn der Auftrag im Zeitfenster der VV TB 2017 erteilt wurde und zwischenzeitlich die VV TB 2019 gültig ist?                                 

Entscheidend ist, welche Leistung geschuldet wird. Planungsleistungen sollten in der Präambel klar definieren, auf welcher Grundlage sie vorgenommen wurden. Dieser Bezug sollte schlüssig sein. Wenn heute in einer Beschreibung steht, dass ein nach DIN 4102 schwerentflammbares B1 Bauprodukt zur Isolierung von brennbaren Regenwasserabflussrohren genommen werden soll, kann das nicht zielführend sein. Doch selbst wenn der Auftrag nach VV TB 2017 geplant, ausgeschrieben und gewonnen wurde, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ein Bauprodukt mit der Bewertung B-s3, d0 eingebaut werden kann. Es hängt vom geschlossenen Vertrag ab.

 Viele Verträge beinhalten die Schuld des Errichters, den anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen. In diesem Fall ist dem Errichter dringend zu raten, den Auftraggeber schriftlich auf die Änderung in den Anforderungen hinzuweisen. Wenn sich der Auftraggeber für das Bauprodukt mit der Schwerentflammbarkeit nach VV TB 2019 entscheidet, ist der Errichter zum Nachtrag berechtigt. Sollte der Errichter nicht darauf hinweisen, somit seiner Vertragspflicht nicht nachkommen, kann der Auftraggeber die geschuldete Leistung einfordern. In diesem Fall läuft der Errichter Gefahr auf den Mehrkosten sitzen zu bleiben.

Das Thema der Schwerentflammbarkeit ist also komplexer als gedacht. Die Relevanz bezieht sich aber nur auf öffentlich-rechtlich begründete oder zivilrechtlich vereinbarte Bereiche.

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MVVTB 2017.pdf (4.53MB)
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MVVTB 2021.pdf (4.59MB)
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